Gaa mehr ETH. #4: Wie wasmù vode Bib a d’Adria chùnnt

Hier die vierte Kolumne «Gaa mer ETH» von Sven Krattinger:

Der Sommer 2022 – ein Sommer, der in die Geschichtsbücher eingehen könnte. Die Folgen des andauernden Kriegs in der Ukraine holten Europa und die Welt nach und nach ein. Die Inflation liess die Zentralbanken zittern und die Börsen schlittern. Erschwerend dazu erreichten uns wieder einmal die Folgen der jahrzehntelang missratenen Klimapolitik: Hitzewelle, Dürresommer, Sonnenrekord – diese Worte las man dieses Jahr beinahe täglich in den Medien.

Wie geht man als ETH-Student damit um? Nun, gelinde gesagt streift dies alles an einem vorbei. In der mittels Klimaanlagen auf zwanzig Grad herabgekühlten Bibliothek (kurz: Bib) lebt man wie in einer isolierten Parallelwelt. Mehr als zwei Monate lang war ich beinahe durchgehend abgeschottet vom Lärm – wortwörtlich wie im übertragenen Sinn. Von den Waldbränden in Südeuropa hörte ich während der Lernphase kaum etwas. Das Einzige, was ich rauchen sah, waren die Köpfe von hunderten Studierenden. Der tödliche Schuss auf den japanischen Regierungschef Shinzo Abe wurde durch das Klicken der Tastaturen und das Kritzeln der Stifte übertönt – und als selbst dies zu laut wurde, lernte ich weiter mit Ohropax in den Ohren. Und dass Millionen von Menschen vom 9-Euro- Ticket profitierten, interessierte uns ETH-Studenten auch herzlich wenig. Ferien kennen wir nicht – zumindest nicht so früh im Jahr.

Während nämlich die Studierenden der meisten anderen Universitäten die Prüfungen sehr bald nach dem Semester haben, zieht es die ETH Zürich weiterhin vor, die Prüfungsphase in den August zu legen. Doch während wir dafür oft Mitleid ernten, muss ich zugeben, dass ich es ziemlich genossen habe. Denn wenn die Schweiz lahmliegt, weil alle die neu gewonnene Reisefreiheit nach zwei Corona-Sommern geniessen, habe ich hier mehr Platz. Ich musste mir nicht jeden Tag überlegen, was ich heute machen würde, sondern hatte meine feste Routine: Um sieben Uhr dreissig würde ich mich in die Bib begeben, bis Mittag lernen, kurz in einer Mensa das Mittagessen einnehmen ohne dabei dreissig Minuten in der Schlange zu stehen, weiterlernen – und das alles bei angenehmen zwanzig Grad –, während der Rest Europas nur vor sich schmilzt. Und die meisten Abende hatte ich dann doch noch die Gelegenheit, Freunde zu treffen oder (bei humanen Temperaturen) Sport zu machen. Und auch für eine Woche Lernferien reichte die Zeit zur Genüge.

Wie im Flug verging so die Lernphase und dann auch die Prüfungsphase. Dank der langen Vorbereitungszeit konnte ich entspannt an die acht Prüfungen gehen. Zugegeben, die erste Prüfung war schon eine spezielle Erfahrung – von Zwischenverpflegung, über Schreibmaterial bis zur Lösungsstrategie musste alles sitzen. Bei mir klappte dies nicht auf Anhieb, doch spätestens bei der zweiten Prüfung fühlte ich mich richtiggehend wohl. Endlich zahlte sich ein Jahr harte Arbeit aus und ich konnte zeigen, was ich in diesem Jahr dazugelernt hatte.

Kaum war das letzte Kreuz gesetzt, die letzte Prüfung abgegeben und der letzte Stift verräumt, folgte auch schon das traditionelle «After-Prüfungs-Bier». An dieser Stelle muss ich der Coop-Filiale auf dem Campus Hönggerberg ein Lob aussprechen: Obwohl der Einkaufsladen ungefähr die Fläche vom Volg in Tafers hat, haben sie es geschafft, über 600 Maschineningenieure in kürzester Zeit mit einem (oder mehreren) Bier zu versorgen. Wo sie all die Biere gelagert haben, bleibt mir noch immer ein Rätsel.

Nun durften auch wir träumen von unseren Ferien. Die meisten Studierenden reisten noch am gleichen Tag ab – so auch ich: Noch am selben Wochenende kam ich in den Genuss, eine Konferenz in Strassburg zu besuchen. Gottseidank musste ich dort nicht mehr über Trägheitsmomente, Kräfte und Integrale sprechen, sondern konnte mich erstmals seit über zwei Monaten wieder ohne schlechtes Gewissen meinen anderen Interessen widmen: Unternehmertum, Leadership und Networking.

Zum Abschluss meiner dreiwöchigen Ferien (ich weiss, in der Arbeitswelt ist dies unglaublich viel – an der ETH übrigens auch – für einen Studierenden aber extrem kurz) durfte ich dann auch noch mein persönliches Highlight diesen Sommer erleben: Als Gruppe von neun Kindheitsfreunden hatten wir uns eine Villa in Kroatien gemietet und verbrachten die Tage mit Städtetrips, abenteuerlichen Autofahrten (vertraue niemals Google Maps, wenn du Strände in Kroatien suchst) und Schnorcheln in der Adria.

So war auch mein Sommer ein voller Erfolg und wird, wenn schon nicht in den Geschichtsbüchern, für immer in meinem Gedächtnis bleiben. PS: Kurz vor Semesterbeginn erhielten wir auch die Prüfungsresultate zurück und es freut mich mitzuteilen, dass ich den Blog weiterhin «Gaamer ETH» nennen und euch von meinen Erlebnissen im zweiten Studienjahr erzählen darf