Gaamer ETH #010: Seislertütsch – a altruistischi Sprach

Der Düdinger Sven Krattinger kommt während seinem Studium an der ETH natürlich auch mit Zürchern in Kontakt. In seinem Blog Nummer 10 erklärt er, warum Senslerdeutsch bei Ich-Botschaften vor Egoismus schützt.

Blogtext von Sven Krattinger:

Seit dem neuen Jahr ging bei mir so richtig die Post ab: Nachdem ich auf den ersten Januar hin die Nationale Leitung im Company Programme von YES übernahm (dazu später mehr) und gleichzeitig den bisher intensivsten Prüfungsblock mit neun Prüfungen und einer Abgabe hatte, brauchte ich nach sieben Wochen ohne freien Tag erst einmal einen verlängerten Aufenthalt im Wallis.

Und so hat nach drei Tagen Pause dann auch gleich das neue Semester begonnen. Während ich mich im Studium in diesem Semester fast nur noch mit der Bachelorarbeit rumschlage (aktuell werde ich von ihr richtiggehend vertreschaagget), komme ich auch ausserhalb des Studiums zu vielen Erlebnissen und Bekanntschaften.

Die Ironie am Züridütsch

Ein grosser Teil davon hängt mit meiner neuen Rolle bei YES zusammen. Im Rahmen des Company Programme erhalten Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, im Schulunterricht ihr erstes reales Miniunternehmen zu gründen. Nachdem ich zweieinhalb Jahre lang als «Programme Manager» die Lernenden und Lehrpersonen der Region Aargau unterstützt habe, durfte ich im neuen Jahr die Leitung des Programms mit zwölf Angestellten übernehmen.

Worauf ich besonders eingehen möchte, ist der Austausch, der mir damit ermöglicht wurde: Egal, ob in Wien an einer internationalen Handelsmesse, im Prime Tower mit Partnern oder ganz einfach mit Mitarbeitenden im Büro.

In den vielen Bekanntschaften und Gesprächen ist mir etwas ganz Ironisches aufgefallen. Ich muss dazu ein wenig ausholen: Was heutzutage in zahlreichen Kursen und teilweise auch im Schulunterricht gelehrt wird, ist die subjektive Botschaftsübermittlung. Damit meine ich, dass man zum Beispiel nicht sagt: Das isch ja mau as Gchräbù, sondern Ih fünne, du hettisch awe schöner chene schryybe. Ih cha das nid lääse.

Diese Devise ist an sich genial. Man signalisiert dem Gegenüber, dass man dies persönlich so empfindet und spricht keine Schuldzuweisungen oder Beleidigungen aus. Diese altruistische Geste soll zeigen: Ich möchte dir helfen, dich zu verbessern, indem ich dir meine Sichtweise auf die Dinge mitteile. Dies funktioniert in allen Sprachen und Dialekten – mit einer Ausnahme: Züridütsch.

Bei Zürcherinnen und Zürchern klingt das nämlich so: IIIIIICH (man hört förmlich heraus, wie der Daumen auf die eigene Brust zeigt) finde, duhetschdasschönercheneschriibe (ja, der Rest des Satzes geht meistens unter). Und damit sind wir bei der Ironie: Der gutgemeinte Altruismus weicht damit gleich wieder dem arroganten Zürcher Egoismus.

Der senslerdeutsche Schutz vor Egoismus

Auf Senslerdeutsch wäre sowas gar nicht möglich. Nicht nur, weil soviel Egoismus nicht in einen einzelnen Sensler reinpasst, sondern auch, weil die Sprache dies gar nicht zulässt. Stell dir mal vor, jemand würde beginnen mit Iiiiiiiiiiihhh – wir würden uns sofort Sorgen machen: Entweder hat er ein Schlegli oder er ist Berner– die brauchen ja bekanntlich auch etwas länger beim Sprechen.

Wenn du also das nächste Mal jemandem ein Feedback gibst, gib es aus deiner eigenen Sicht. Und während du dies machst, schau darauf, es auf Seislertütsch zu machen und dabei die geringe Betonung des Ih zu geniessen. Ih fünne nämlich, das isch z schööna am Seislertütsche. Z Uneigenütziga, villech sogar awe Altruistischa, wo di Sprach mit sich bringt.

PS (an alle Zürcher, die dies lesen): Bitte seid nicht traurig über das harsche Feedback. Ich habe es aus der ersten Person geschrieben – so könnt ihr auch noch etwas lernen und daraus mitnehmen … 🙂